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REZENSION

KINDERBUCH

Joke van Leeuwen: Weissnicht, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2005, 80 Seiten, 13,90 Euro

Zwei Geschichten in einer Handlung prallen zuerst aufeinander, um dann im Laufe des Buches eine ganze Reihe von Geschichten anzureissen, immer auf der Suche nach der richtigen. In der einen erzaehlt die Mutter am Abend ihrer Tochter eine Gute-Nacht-Geschichte, die sie sich aus dem Aermel schuettelt und mit ES WAR EINMAL beginnt. In der anderen Anfangsgeschichte, die einem Comic gleicht, faellt ein abenteuerlustiges, ungeduldiges, plattnasiges Kind aus dem Bild direkt ins Bett des Maedchens, wo die Geschichte gerademal begonnen hat. Allerdings ist das Maedchen schon wieder allein, da die Mutter mit dem anderen Ende der Welt telefonieren muss und das kann dauern. Auch die Geschichte des plattnasigen Findelkindes mit dem vielsagenden Namen Weissnich begann mit den magischen Worten ES WAR EINMAL.

Weissnich hat kein Interesse an lustigen Schnitten, mit dem das Maedchen, sich seiner Beschuetzerrolle bewusst, es gern fuettern und umsorgen wuerde. Weissnich will zu seinen Eltern und das heisst zurueck in seine Geschichte, nach Hause. Doch mit ES WAR EINMAL beginnen unendlich viele Geschichten. Die Odyssee durch die Literaturenlandschaft bringt die beiden Suchenden im Schwarz-weiss Comic in grosse Gefahr, in der Geschichte vom einsamen Helden in schwindelerregende Hoehen und in der unentschlossenen Geschichte in die Naehe eines gefaehrlichen Bleistiftes mit Radiergummi. Ob Comics, Bilder, Buchstaben oder Fotocollagen, die Vielfalt der Geschichtenanfaenge, in die die beiden Protagonisten hineingeraten, koennten ewig lang zum Weiterspinnen verfuehren. Aber schon denkt Weissnich oder das Maedchen ganz fest: ES WAR EINMAL und die Reise geht weiter. Eine Fuelle an Geschichten prasselt auf den Leser ein und dazu noch Bilder, Fotos und vor allem ein rasantes, fantasievolles Spiel mit der Typographie. Wenn das kleine Weissnich vor lauter Heimweh weint, traeufeln die Traenen auf die Buchstaben und weinen mit. Die Schrift verzerrt sich, wenn gerufen wird und sie verschwindet, wenn Kakao ausgeschuettet wird. Joke van Leeuwen spielt mit Woertern, Andeutungen, Klassikern und allem was an Erzaehlbarem da ist. Und dabei geht es doch, wie so oft in den Geschichten, um die einfachen Dinge des Lebens: Die Sehnsucht nach dem Gebrauchtwerden, sich kuemmern koennen und da sein fuer den anderen, um Geborgenheit, Waerme und Zuversicht. Und das mag in der einen wie in der anderen Welt das Wichtigste sein.

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