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REZENSION

BELLETRISTIK

Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders, Deutscher Taschenbuch Verlag, Muenchen 2005, 8,50 Euro


Im Jahre 2003 erschien Uwe Timms Buch " Am Beispiel meines Bruders " und wurde vom Feuillton bereits als " künftiger Klassiker seines Genres" gelobt. Sechzig Jahre nach dem Tod seines aelteren Bruders Karl Heinz, spuert Uwe Timm mit Hilfe von Erzaehltem, vorliegenden Aufzeichnungen und aus den Erinnerungen heraus seiner Familiengeschichte nach. Er richtet nicht und fuehlt sich doch erst nach dem Tod der Mutter und Schwester frei zum Schreiben. Dabei bringt er, auch wenn das Buch zu einer Auseinandersetzung mit der ganzen Familie geraet, niemanden in Misskredit. Uwe Timm versucht tastend die Entscheidungen der Familienmitglieder, allen voran die seines 16 Jahre aelteren Bruders nachzuvollziehen und zu verstehen. Er beschreibt den Alltag der Familie, die Rolle jedes einzelnen, er waegt viele Werte, u.a Anstaendigkeit und Tapferkeit, die in der Familie wichtig waren, ab und hinterfragt dann das Schweigen und Wegsehen. Gefuehlvoll, voller Hochachtung und dabei sehr beruehrend sind die letzten Szenen mit der Mutter im Krankenhaus, nuechtern analysiert er die trostlose Lebensgeschichte der aelteren Schwester. Im Mittelpunkt der Familiengeschichte jedoch steht der abwesende aeltere Bruder - blond, gross, blauaeugig meldete sich der 18-Jaehrige 1942 bei der SS-Totenkopfdivision und wird Panzerpionier. "Mein lieber Papi, Leider bin ich am 19. schwer verwundet ich bekam ein Panzerbuechsenschuß durch beide Beine die sie mir nun abgenommen haben." Als Karl Heinz Timm diesen Brief am 30. September 1943 in einem ukrainischen Lazarett schrieb, war sein kleiner Bruder Uwe drei Jahre alt. Drei Wochen spaeter starb der Bruder. Doch in der Familie, in der Uwe Timm heranwaechst, ist der tote Bruder stets anwesend. Zurueck laesst er ein Tagebuch, mit Eintragungen vom 14. Februar bis zum 6. August. Die letzte, undatierte Eintragung lautet: "Hiermit schließe ich mein Tagebuch, da ich für unsinnig halte, ueber so grausame Dinge wie sie manchmal geschehen, Buch zu fuehren." Uwe Timm versucht anhand dieser Aufzeichnungen, deren kurze Eintragungen immer wieder analysiert werden, sich dem Bruder und seinem Denken zu naehern. Er, der in der Familie immer als ein Junge beschrieben wird, der tapfer sein wollte. Uwe Timm fragt sich, warum sein Bruder diese politische Wahl, zu der ihn in der Familie niemand gedraengt hatte, getroffen hat und warum wurde er spaeter in der Familie dennoch idolisiert. Uwe Timm registriert immer mehr "die Abwesenheit von jedem Mitempfinden" seines Bruders. Der Tod des Bruders war fuer den Vater der allergroesste Schmerz, ein Schicksal, mit dem er bis zuletzt gehadert hat. Unglaublich bei allem Mitgefuehl dann die Diskussion ueber die Schuldigen am Krieg und der moeglichen Umkehrbarkeit der tragischen Ereignisse des Kriegsgeschehens zugunsten der Angreifer. Ein authentisches Buch, das viele Fragen aufwirft und erneut aus neuen Blickwinkeln stellt.

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