REZENSION

Januar 2006
Januar 2006
REZENSION

Zeruya Shalev: Späte Familie, Berlin Verlag, Berlin 2005, 581 Seiten, 19,90 Euro

Mit den Romanen "Liebesleben" und "Mann und Frau" wurde die israelische Autorin Zeruya Shalev bekannt. Mit "Spaete Familie" schliesst die israelische Autorin ihre Trilogie ueber die moderne Liebe ab. Aus der Perspektive Ellas, einer Archaeologin, Mitte dreissig, werden die zeitlich atemberaubend schnelllebigen Ereignisse geschildert. Ella Miller trennt sich ohne nach aussen hin gravierende Gruende von Amnon, dem Mann, mit dem sie zehn Jahre zusammen gelebt hat. Sie will frei sein fuer ihren gemeinsamen sechsjaehrigen Sohn Gili. Nach vier Wochen bereut sie ihre Entscheidung, durchlaeuft eine schwere Depression, um sich dann in Oded, einen ebenfalls gerade frisch getrennten Psychiater zu verlieben, mit dem sie durch den Einbruch der Alltagswirklichkeit alle bekannten Gefuehlsschwankungen wieder durchleiden wird. Ihre Freundin Talja bringt es auf den Punkt:

" ... sie sagt, bevor du etwas machst, bist du immer viel zu ueberzeugt von deinen Plaenen und hinterher viel zu wenig, schau dir doch bloss dein schuldbewusstes Gesicht an,...."

Zeruya Shalev zieht, und sicher wird sie fuer ihre Geschichte mehr Frauen als Maenner begeistern, ihre Leser sogartig in Ellas Leben. Shalevs Protagonistin fuehrt einen andauernden, inneren Monolog, einen nicht zu unterbrechenden Redestrom voller Widerspruechlichkeiten und wortgewaltigen, metaphorischen Exkursen. Wenn sie an Amnon denkt und darin schwingt auch ein Teil Selbstmitleid, dann erscheint es ihr als seien " Erinnerungen an eine verblasste Liebe, schmutzig wie Servietten nach einem Festessen". Ellas Erzaehlschwall macht vor nichts halt. Ein Hauptsatz reiht sich an den anderen, das ist gewoehnungsbeduerftig. Immer wieder fliessen Bilder aus der Archaeologie und ihrem Projekt, sie forscht der Geschichte Theras nach, ein. Im Original heißt Shalevs Roman "Thera". Thera ist der antike Name der Kykladeninsel Santorini. Durch einen gewaltigen Vulkanausbruch wurde Thera Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. auseinander gesprengt. Shalev verbindet Mythos und Historie der Insel mit Ellas Geschichte, denn auch sie zerstoert in einem Wechselbad der Gefuehle ihre Beziehungen und reisst ihren Sohn Gili mit hinein in die Katastrophe, die ihr tyrannischer Vater auch noch voraussagt.

Ella moechte die Wirklichkeit veraendern, nicht geduldig auf eine Veraenderung warten. Dabei bleibt sie oftmals an der Oberflaeche kleben, ohne in die Tiefe zu gehen oder sich die Muehe zu machen, ueber Menschen und ihre Handlungsmotive wirklich nachzudenken. Jeder raet ihr die heilige Familie nicht zu zerstoeren, die Freunde, ihr intellektueller, gefuehlloser Vater und die Mutter, die in ihrer devoten Haltung Ellas Vater gegenueber eine unertraegliche, unsympathische Figur im Roman ist. Ella erkennt erst in Gespraechen mit anderen, wie es um sie bestellt ist. Ihren eigenen Argumentationsstrategien traut sie schon lang nicht mehr als sie auf Draengen Odeds in seine neue Wohnung zieht. Die Schnelligkeit ihres Handelns ueberrollt beide und stuerzt sie schon nach einer Woche in eine unausweichliche Krise, denn der Aufbau neuer Haeuser auf den Truemmern der alten ist ein nicht so einfaches Unterfangen.

Ella und Oded ersparen einander nichts. Sie durchleben alles: zu hoch gespannte Gluecksansprueche, eine fast vollkommene Liebe, Missverstaendnisse, falsche Versprechungen, Schuldgefuehle und - zuweisungen, Aengste, Verletzungen, Kraenkungen und Hoffnungen an eine Patchworkfamilie, Oded hat zwei Kinder, die einfach nicht funktionieren kann.

Faszinierend ist, dass alles, was Zeruya Shalev ohne in grosses Psychologisieren zu verfallen, schildert, genauso in unserem Umkreis geschehen koennte, abgesehen von den Aengsten vor moeglichen, toedlichen Anschlaegen.

Eva Manesse nennt die Geschichte "ein klassisches, ein archaisches Drama, das sich seit der Existenz des Menschen millionenfach wiederholt." Ob die spaete Familie sich wirklich findet, bleibt offen. Alles andere aber wird genauestens von Ella durchleuchtet und das zu lesen, ist einfach faszinierend.


Belletristik
Ian McEwan: Saturday
Jutta Voigt: Der Geschmack des Ostens
Tilman Spreckelsen ( Hg.): Mein Vater, der Held.
Zeruya Shalev: Späte Familie
CD's - CD-ROM

Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Raumschiffe bauen mit Willy Werkel

Gutenachtgeschichten, Herausgegeben von Gabriele Kreis

Jugendbuecher
Martha Heesen: Die Nacht, als Mats nicht heimkam
Tahar Ben Jelloun: Papa, woher kommt der Haß?
Kinderbuch
Karin Koch, Andre Roesler: Emil wird sieben
Deutscher Spielfilm

"Die Wilden Huehner" nach dem Roman " Fuchsalarm" von Cornelia Funke

Sachbuecher

Erne/Metzger - Mein erstes Lexikon

Dorling Kindersley

content-tv.com