REZENSION

Mai 2006

REZENSION

Bilderbuch

Thomas Rosenloecher, Jacky Gleich ( Ill.): Das langgestreckte Wunder, Hinstorff Verlag, Rostock 2006, 28 Seiten Leporello, 16,90 Euro

Wer hat nicht Lust mal ohne Schiff, Flugzeug, Eisenbahn oder Siebenmeilenstiefel eine Weltreise zu unternehmen? Der Mann, der wohlig ausgestreckt in seinem Garten liegt, wird das ganz unfreiwillig mit den Fuessen und seinen staendig wachsenden Beinen erleben, denn er ist " das langgestreckte Wunder". Nicht der Brei aus dem Zaubertopf breitet sich aus, sondern die sich ausdehnenden Beine eines Mannes mischen sich ueberall ein. Sie liegen auesserst respektlos auf dem Lehrertisch, schiessen ein entscheidendes Tor und werfen kurzerhand den Posten nebst Pfosten an der Grenze um. Die sich ausstreckenden Beine mobilisieren friedlich ganze Voelkerscharen, denn laenderuebergreifend wachsen die Beine rund um die Erde und kommen irgendwann am Hinterkopf des Mannes wieder an. Doch laengst ist der Wachstumprozess nicht abgeschlossen. Schon beginnt der Hals sich auszudehnen, fast so wie bei Alice im Wunderland, die ueber die Baeume hinausschauen kann. Unser Wundermann jedoch wird sicher dem Mond einen Besuch abstatten. Wie es weitergehen koennte? Kinder haben da sicher unzaehlige Ideen.

Thomas Rosenloecher, von Haus aus Lyriker, Essayist, aber auch Reiseschriftsteller und Kinderbuchautor, hat sich einen wunderbar anarchischen, wie skurrilen Text mit viel Wortwitz ausgedacht, der auch mit politischen Anspielungen auf die Nachwendezeit aufwartet, die dem vorlesenden Erwachsenen sicher ein kleines Schmunzeln entlocken koennen.

Jacky Gleich unterstreicht mit ihren unverkennbar farblich kraftvollen Figuren, die immer in Bewegung zu sein scheinen, Rosenloechers absonderliche Textideen, die sich auf einem 2,55 m langen, ueberschaubaren Leporello ausbreitet.

Mit lakonischer Ironie begleitet der Text die unterschiedlichen Reisestationen der Beine. Wendet man den Leporello, so eroeffnet sich ein neues Szenario, denn der langgestreckte Koerper und die Erde haben sich wie in alten Schoepfungsgeschichten verbunden. Da werden die Knie zu den Alpen, die Beine zum Canale Grande und zur Suedseeinsel oder einfach nur zur Waescheleine fuer die nasse Kleidung der Inuit.

Ein wunderbares Bilderbuch, das man je nach Ansicht drehen, ziehen und wenden kann.

Belletristik

Anne Chaplet: Sauberer Abgang

Christian Jungersen: Ausnahme

Dagmar von Gersdorff: Die Erde ist mir Heimat nicht geworden

Elke Schmitter: Veras Tochter

Joanna Trollope: Zweiter Fruehling

Karin Alvtegen: Scham

Magdalen Nabb: Eine Japanerin in Florenz

Markus Werner: Am Hang

Nadja Einzmann: Dies und das und das

Nicholas Shakespeare: In dieser einen Nacht